Der Geschichte auf den Fersen

Die Stiefel für Double RL werden in einer legendären texanischen Fabrik gefertigt, die auf 160 Jahre Tradition zurückblickt

Wir schreiben das Jahr 1864. Der österreichische Erzherzog Ferdinand Maximilian – ein Spross des Hauses Habsburg und zukünftiger Kaiser Maximilian – ist auf Geheiß von Frankreichs Napoleon III gerade in Mexiko angekommen. Seine Mission: das Land im Namen des Franzosen, der es vor erst drei Jahren erobert hat, zu regieren. Trotz 40.000 französischer Soldaten unter seiner Befehlsgewalt ist er letztlich zum Scheitern verurteilt. Bei fehlender Unterstützung durch das Volk, wird er vom mexikanischen Widerstand überwältigt und 1867 hingerichtet. Auch wenn seine Herrschaft von kurzer Dauer war, hatte er doch einen bis heute anhaltenden Einfluss: Die Stiefel für seine Kavallerie hatte er bei der Familie Rios anfertigen lassen.

Diese Stiefelmacher – heute bekannt als Rios of Mercedes – sind immer noch im Tal des Rio Grande tätig, wo sie in einer efeubewachsenen Werkstatt die Stiefel für Double RL fertigen. Diese Stiefel verkörpern eine romantische Vorstellung von Cowboys und dem sogenannten „Wilden Westen“. Will man jedoch genauer wissen, was sie so besonders macht, muss man herausfinden, wo und von wem sie hergestellt werden.

Wir starten in Mercedes, einer Stadt mit etwa 15.000 Einwohnern, die ungefähr 16 Kilometer von der mexikanischen Grenze entfernt liegt. Die Landschaft ist eher südländisch als typisch texanisch, übersät mit Palmen und Baumwollfeldern anstelle von Rinderfarmen oder Ölbohrlöchern. Dank Rios und der zahlreichen Stiefelmacher, die im Laufe des vergangenen Jahrhunderts hier gearbeitet haben, erlangte Mercedes einen Ruf als die Hauptstadt der texanischen Stiefelproduktion. Bis zu ein Dutzend Werkstätten waren einst während der Blütezeit der Stadt in Betrieb, an die ein öffentliches Kunstprojekt mit 170 cm großen Aluminiumstiefeln erinnert, die überall in der Stadt verteilt sind.

Die Zahl der Werkstätten ist bis heute sehr zurückgegangen und das Familienunternehmen Rios ist eines der letzten verbliebenen, nicht nur in Texas, sondern in den gesamten Vereinigten Staaten. Ein anderer bekannter amerikanischer Stiefelmacher musste sich sogar an Rios wenden, als er feststellte, dass es in seinem Unternehmen niemanden mehr gab, der wusste, wie ein bestimmter Stiefelaufbau ausgeführt wird.
 Die efeubewachsene Werkstatt gehört zu den letzten verbliebenen Schusterbetrieben in der Hauptstadt der texanischen Stiefelproduktion
Die efeubewachsene Werkstatt gehört zu den letzten verbliebenen Schusterbetrieben in der Hauptstadt der texanischen Stiefelproduktion

Die Werkstatt ist nicht sehr groß, mit Leuchtstofflampen beleuchtet und riecht nach Leder und Stiefelpolitur. Hier stellen die rund 30 Mitarbeiter von Rios gerade einmal 40 bis 50 Paar Stiefel am Tag her – einschließlich der für Double RL – ein Zeugnis für den Arbeitsaufwand jedes einzelnen Paars. Am Anfang des Vorgangs steht das Leder aus amerikanischen Gerbereien, das aufgrund seiner Qualität ausgewählt wird. Für Wildleder wird New Plainview und Chelsea Plainview von Ralph Laurens Double RL Ranch in Colorado verwendet. Jeder Teil des Tieres ist für einen bestimmten Platz auf dem Stiefel verantwortlich. Zum Beispiel sind Kalbsschultern stark und fest, also wird dieses Leder für den Rahmen verwendet, der täglicher Beanspruchung standhalten muss. Die Kalbshaut zieht sich von oben nach unten (anstatt vom Ohr zum Schwanz), weshalb Rios sich beim Schneiden des Leders diese natürliche Elastizität zunutze macht.

Ganz allgemein setzt sich der Hauptteil des Stiefels aus drei Teilen zusammen: dem Vorderblatt, der Hinterkappe und dem Schaft. Für den Schaft wird jedes Lederteil von Hand geschnitten, dann kurzzeitig an ein Premium-Rindslederfutter geklebt, um es zu fixieren, bevor es in den speziellen Steppraum kommt. Dort verwendet ein erfahrener Schuster eine Einkopf-Stickmaschine der dritten Generation, um die dekorativen Einlagen zu sticken. Die oberen Teile werden zusammengenäht, damit die Stiefel genau richtig sitzen, wenn Vorderblatt und Hinterkappe angebracht werden. Der Vorgang verlangt äußerste Präzision (hier muss erwähnt werden, dass Mitarbeiter bei Rios im Durchschnitt bereits 18 Jahre dort arbeiten). Diese drei Teile werden links herum genäht, sodass überschüssiges Leder mit chirurgischer Präzision entfernt werden und raue Stellen geglättet werden können. Abschließend werden die Stiefel von Hand umgedreht und einzeln auf ein Schuhmachereisen gezogen, welches ein wenig an ein mittelalterliches Folterinstrument erinnert. Außerdem wird bei diesem Schritt auch die Beständigkeit des Stiefels selbst überprüft.

Während dies geschieht, arbeitet eine gesonderte Gruppe von Schustern an den Sohlen. Jede Sohle wird in der Fabrik geschnitten, was sehr selten ist. Dabei wird pflanzlich gegerbtes Leder verwendet, das mit einer Baumrindenlösung gefärbt wird. Die Sohlen werden von Hand am Stiefel angebracht. Ein weiterer Fachhandwerker führt einen Stahlschaft ein, welcher in St. Louis hergestellt wurde (Rios ist bestrebt, nur in den USA hergestellte Teile zu verwenden), indem er Zwickstifte einhämmert, um den Schaft an seinem Platz zu halten.
Der Vorgang wird mit der Goodyear-Rahmennaht-Maschine abgeschlossen. Während nur noch wenige amerikanische Fabriken Goodyear-Rahmen verwenden, gehört Rios zu den wenigen Unternehmen (oder ist vielleicht sogar das einzige), die die Rahmennaht im Leder versenken. Dadurch können die Stiefel leichter repariert werden und die Naht selbst ist für einen geradlinigen Look verdeckt. Auch hier wird wieder klar, dass die meisten Schritte der Handanfertigung dem flüchtigen Betrachter wohl entgehen werden, aber im Endeffekt für einen besser aussehenden, langlebigeren Stiefel sorgen. Dies ist ein kritischer Moment. Der kleinste Fehler wirft den Stiefel einige Stufen zurück und er muss auf kostspielige und zeitaufwendige Weise korrigiert werden. („Verheerend“, wie es einer der Miteigentümer von Rios ausdrückt.)

Sobald der Stiefel zusammengesetzt ist, führt eine andere Gruppe vier (laute) Arbeitsschritte des Schleifens und Polierens der Sohlen durch. Dann kommt noch die letzte Beizung und Politur, bevor die Schuhe schlussendlich abgepackt werden. Das Endergebnis: ein mit Sorgfalt und Präzision hergestellter Stiefel, der sicher allen Schuhen in Ihrem Schuhregal das Wasser reichen kann. Da ein Cowboystiefel keine Schnürsenkel hat, muss er haargenauan Ihren Fuß angepasst sein.

Was uns an Folgendes erinnert: Um zu sehen, ob Ihr Stiefel richtig passt, müssen sowohl die Fußwölbung als auch die Zehenlänge stimmen. Wenn die Wölbung des Stiefels und Ihre Fußwölbung nicht aufeinander abgestimmt sind, wird sich der Stiefel dehnen. In diesem Fall wird auch das beste Leder beginnen, sich vorzeitig abzunutzen. Aber wenn Sie die richtige Passform gefunden haben, werden Ihre Stiefel ein Leben lang halten. Die Leute bei Rios – und Double RL – haben dafür gesorgt.

Paul L. Underwood ist ehemaliger Chefredakteur von RalphLauren.com. Er lebt mit seiner Frau und zwei Kindern in Austin, Texas.
  • Fotos von Johnny Martinez; mit freundlicher Genehmigung von Rios of Mercedes